FDV: Temple of Artemis, Ephesus, Turkey
Temple of Artemis, Ephesus, Turkey FDV

Plinius der Ältere, Naturkunde 36, 95-98

Graecae magnificentiae vera admiratio exstat templum Ephesiae Dianae CXX annis factum a tota Asia, in solo id palustri fecere, ne terrae motus sentiret aut hiatus timeret, rursus ne in lubrico atque instabili fundamenta tantae molis locarentur, calcatis ea substravere carbonibus, dein velleribus lanae. universo templo longitudo est CCCCXXV pedum, latitudo CCXXV, columnae CXXVII a singulis regibus factae LX pedum altitudine, ex iis XXXVI caelatae, una a Scopa, operi praefuit Chersiphron architectus. summa miraculi epistylia tantae molis attolli potuisse; id consecutus ille est eronibus harenae plenis, molli clivo super capita columnarum exaggerato, paulatim exinaniens imos, ut sensim opus in loco sederet. difficillime hoc contigit in limine ipso, quod foribus inponebat; etenim ea maxima moles fuit nec sedit in cubili, anxio artifice mortis destinatione suprema, tradunt in ea cogitatione fessum nocturno tempore in quiete vidisse praesentem deam, cui templum fieret, hortantem, ut viveret: se composuisse lapidem. atque ita postera luce apparuit; pondere ipso correctus videbatur. cetera eius operis ornamenta plurium librorum instar optinent, nihil ad specimen naturae pertinentia. Durât et Cyzici delubrum, in quo milium aureum commissuris omnibus politi lapidis subiecit artifex, eboreum Iovem dicaturus intus coronante eum marmoreo Apolline. translucent ergo iuncturae tenuissimis capillamentis lenique adflatu simulacra refovent, et praeter ingenium artificis ipsa materia ingenii quamvis occulta in pretio operis intellegitur.

Zu echter Bewunderung griechischer Prachtliebe besteht noch der Tempel der Artemis zu Ephesos, an dem ganz Kleinasien 120 Jahre lang gebaut hat. Er wurde auf sumpfigem Boden errichtet, damit er Erdbeben nicht zu spüren und Erdrisse nicht zu fürchten habe; damit aber wiederum die Fundamente für eine solche Masse nicht auf schlüpfrigem und unsicherem Boden gelegt würden, bereitete man eine Unterlage aus zerstampften Kohlen und legte darüber Felle mitsamt ihrer Wolle. Der gesamte Tempel ist 425 Fuß lang, 225 Fuß breit; er hat 127 Säulen, jede von einem anderen König errichtet und 60 Fuß hoch; 36 von ihnen sind mit Bildhauerarbeit verziert, eine von der Hand des Skopas. Die Bauleitung hatte der Architekt Chersiphron inne. Das größte Wunder dabei ist, daß Architrave von solcher Masse (überhaupt) emporgehoben werden konnten. Er erreichte es, indem er Tragkörbe mit Sand füllte, sie auf einer sanft ansteigenden Rampe bis über die Kapitelle der Säulen aufhäufte und dann die untersten Körbe allmählich entleerte, so daß sich (jedes) Werkstück nach und nach an seine (richtige) Stelle setzte. Am schwierigsten gestaltete sich dies an der Schwelle selbst, die er über die Türe legte; dies war nämlich der größte Block, und er wollte sich nicht in sein Lager senken, so daß der Künstler in Angst geriet und nahe daran war, sich das Leben zu nehmen. Als er im Nachdenken darüber ermüdete, soll ihm zu nächtlicher Zeit die Göttin, für die der Tempel gebaut wurde, im Schlafe erschienen sein und ihn ermahnt haben, am Leben zu bleiben: sie habe den Stein zurechtgerückt. Und so wurde es am nächsten Morgen sichtbar; durch sein Eigengewicht schien (der Stein) sich in die rechte Lage gebracht zu haben. Die übrige Ausschmückung dieses Gebäudes zu schildern, gäbe Stoff für mehrere Bücher, doch hat dies nichts mit der Natur als Vorbild zu tun. Es besteht noch ein Tempel zu Kyzikos, an dem der Künstler in allen Fugen des polierten Steines ein goldenes Band anbrachte; im Innern weihte er einen Zeus aus Elfenbein, den ein Apollon aus Marmor bekränzt. Die Fugen lassen daher Licht in feinsten Streifen durchschimmern und verleihen den Götterbildern Wärme; außer diesem Einfall des Künstlers ist es das Material der Erfindung selbst, an dem man, obgleich es verborgen bleibt, den Wert des Werkes erkennt.

Gaius Plinius Secundus d.Ä., Naturkunde, Buch 36, übersetzt von Roderich König, Sammlung Tusculum, Düsseldorf 2007.

Plinius der Ältere, Naturkunde 36, 95-98