(Der Jüngling Narcissus täuscht dem scheuen Mädchen Echo vor, er liebe und begehre sie.) […] ruft er: »So wollen wir hier uns vereinen!«, und Echo, die keinem Laut noch freudiger antwortet, sie wiederholt »uns vereinen!«, und, begeistert von dem, was sie sagte, verlässt sie den Wald und eilt, mit den Armen den Hals, nach dem sie sich sehnt, zu umschlingen. Er aber flieht, und im Fliehen ruft er: »Weg mit den Händen, lass die Umarmung! Ich sterbe eher, als dir ich gehöre!« Darauf gab sie nur zur Antwort »dir ich gehöre!« Und die Verschmähte versteckt sich im Wald, bedeckt sich mit Blättern schamhaft das Antlitz und lebt von nun an in einsamen Höhlen. Aber die Leidenschaft bleibt, und weil sie verschmäht wurde, wächst sie. Liebeskummer, der wachhält, verzehrt ihr kläglich den Körper, Magerkeit lässt die Haut ihr schrumpfen, der Körpersaft schwindet ganz und gar, nur Stimme und Knochen sind übrig: Die Stimme bleibt; es werden in Steine die Knochen verwandelt, so heißt es. Sie versteckt sich seitdem im Wald, und man sieht sie auf keinem Berg, doch es hören sie alle. Der Klang ist’s, der in ihr fortlebt. So hatte er sie getäuscht, so andere Nymphen, die aus den Wogen und Bergen stammten, so vorher Scharen von Männern. Daher rief ein Verschmähter, die Hände zum Himmel erhebend: »Möge er selbst so lieben und das, was er liebt, nicht bekommen!« Sprach’s: Die berechtigte Bitte gewährte die Göttin von Rhamnus. Nun, einen klaren Quell gab’s; silbern erglänzte das Wasser. Den hatten weder Hirten noch Ziegen, die in den Bergen weiden, berührt oder anderes Vieh. Kein Vogel, kein wildes Tier hatte je ihn getrübt, kein Ast, vom Baume gefallen. Gras stand ringsherum, das ein nahes Wasser ernährte, und ein Wald, der der Sonne verwehrte, den Ort zu erwärmen. Hier sank, müde vom Eifer der Jagd und der Hitze, der Knabe nieder, angezogen vom Anblick des Orts und der Quelle.Während den Durst er zu stillen begehrte, erwuchs ihm ein andrer. Während er trinkt, erblickt er verzückt das Bild seiner Schönheit, liebt einen Wahn ohne Körper; was Wasser ist, hält er für Körper. Selber staunt er sich an, und unbeweglich verharrt mit regloser Miene er, wie ein Standbild aus parischem Marmor.
Publius Ovidius Naso, Metamorphosen, lateinisch-deutsch, übersetzt von Niklas Holzberg, Berlin 2017.
Ovid, Metamorphosen 3,386-415